"Man muss nicht vor den Propheten der Liebe, der Kreativität, der Werte, der Schönheit, Imagination, Ethik und Freude abdanken und sie ganz den "Nichtwissenschaften" überlassen, den Dichtern, Propheten, Priestern, Dramatikern, Künstlern und allen Zauberern, Sehern, Weisen, Mystikern, Morgenlandfahrern und Schamanen aller Zeiten. Sie alle mögen wunderbare Einsichten haben, alle die Fragen stellen, die gestellt werden müssen, herausfordernde Hypothesen aufstellen, ja in den meisten Fällen sogar Recht haben.
Doch wie sicher sie auch sein mögen, sie können nie der Menschheit diese Gewissheit in Gänze vermitteln. Sie können nur jene überzeugen, die bereits mit ihnen übereinstimmen, kaum mehr".
"Wissenschaft", so Abraham A. Moles, "ist die einzige Art und Weise, die Wahrheit in einen widerwilligen Kopf zu trichtern".
In unserer Betrachtung über das Parsifal-Gralsgeschehen wollen wir uns nun den umwälzenden Erkenntnissen der Neurowissenschaften und der sog. "Neuen Physik" zuwenden, deren Aussagen erstaunliche Konsequenzen erkenntnistheoretischer Natur beinhalten, um zu überprüfen, inwieweit dies für unser Thema, den Gral und den Weg des Parsifal, von Relevanz und Bedeutung sein kann.
Die besagten Wissenschaftsdisziplinen zeichnen zunehmend klarer ein Bild, welches die vormals als stabil, objektiv und determiniert empfundene Welt des Newtonschen Universums und des euklidischen Raumes als ein Produkt der Anschauung des Einzelnen darstellt.
Das Bewusstsein des Menschen ist demnach das, was auf sich selbst einwirkt. Der Einzelne erhält somit Einfluss auf das ganz persönliche Drehbuch seiner Wirklichkeit.
Dies war im wesentlichen schon Sokrates und Platon, den ersten Philosophen, bekannt. Doch erst jetzt, in einer Art "Zweiten Kopernikanischen Wende", dringt die Erkenntnis ins Bewusstsein allgemeiner Schichten, dass jede Wirklichkeit im unmittelbarsten Sinne durch die Zielgerichtetheit, Vorstellungskraft und Zuwendung des Einzelnen entsteht. Die Wirklichkeit ist demnach kein feststehendes Sein, sondern ein immerwährendes werden, indem Objekt und Subjekt sich wechselseitig beeinflussen und durchdringen, was wir (auch) der "Unschärferelation" des Deutschen Physikers und Nobelpreisträgers Alfred Heisenberg entnehmen können.
Das individuelle Objekt, so Ernst von Glaserfeld, ist stets das Produkt einer vom Subjekt ausgeführten Operation, niemals aber ein Abbild der objektiven und determinierten Wirklichkeit.
Die (neue) Physik sagt uns nun, dass die Dinge in ihrer Beschaffenheit "da draußen" von anderer Natur sind, als wir sie "wahrnehmen". Dort "draußen" gibt es weder Farben noch Töne, sondern nur elektromagnetische Schwingungen, Wellen und wellengleiche Verdichtungen sowie periodische Schwankungen des Luftdrucks, die über einen komplizierten Vorgang der Dechiffrierung in unseren inneren Räumen erst die Bedeutung erlangen, von der wir glauben, dass ihre Entsprechung im "äußeren Raum" existent (determiniert) ist.
Der Geruchs- und Geschmackssinn wiederum basiert auf Molekülen, aus denen "in uns", auf der Basis von neurochemischen Prozessen, Empfindungen werden, ähnlich unserem Temperaturempfinden, welches auf Molekülen und deren kinetischer Energie basiert.
Mit der Zeit verhält es sich auch nicht so, wie man sie gemeinhin erfährt. Die Zeit ist hier ein Phänomen, welches nur "dem Anschein nach" entsteht. Die Quantenphysik hat herausgefunden, dass die linear verlaufende Zeit (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), auch der Zeitpfeil genannt, auf subatomarer Ebene nicht existiert. Die grundlegenden Systeme, die Elektronen, die Bausteine des Universums, verhalten sich zuweilen zeitlos, bzw. ändern willkürlich ihre Identität, ihre Form und ihr Verhalten. Das kausale Verursacherprinzip scheint auf sie auch nicht immer anwendbar zu sein.
Vergleichbar verhält es sich auch mit dem, was wir die Materie nennen, also z.B. unseren eigenen Körper oder den Stuhl, auf dem ich gerade sitze. Die durch den Tastsinn als vorhanden empfundene Härte eines Materials, dessen Farbe, die, wie wir nun wissen, nicht (wirklich) existent ist, ist nichts anderes als ein komplexer neurophysiologischer Prozess, der in unserem Bewusstsein abläuft.
Die Welt im äußeren Raum entsteht somit als ein psychisches Phänomen in uns selbst.
Die Neurowisschenschaft hat zudem herausgefunden, dass das menschliche Bewusstsein - einmal unterstellt, seine Manifestation befindet sich im Großhirn - sich in zwei Hemisphären aufgliedert.
Die linke Hemisphäre ist zuständig für das logische, rationale und analytische Denken sowie das Zeitempfinden. In der rechten Hemisphäre finden wir die Fähigkeit zur ganzheitlichen Erfassung komplexer Zusammenhänge, Muster und Strukturen sowie das Denken in Symbolen. Weiterhin ist die rechte Hälfte zuständig für den Bild- und Traumbereich der Seele und unterliegt nicht dem Zeitverständnis der linken Hemisphäre.
So erzwingt logisches Denken - der sog. "Gesunde Menschenverstand" - eine Dominanz der linken Gehirnhälfte, während beim Träumen, Imaginieren und Meditieren - ganz banal gesagt also bei all dem, was spekulativ ist und sich nicht "beweisen" lässt - die rechte Hemisphäre in die Dominaz geht.
Die linke Gehirnhälfte steht - kleiner Abstecher in die Alchemie - für das aktive, oberbewusste männliche Prinzip und entspricht dem Symbol der Sonne und so der Tagseite im Menschen, während die rechte Gehirnhälfte für das passive, aufnehmende weibliche Prinzip steht, der Nachtseite des Menschen, also dem Unbewussten.
Menschliche Wirklichkeit entsteht aus dem Zusammenwirken dieser beiden, gegenpolaren und sich bedingenden Bewusstseinshälften, womit wir wieder beim eigentlichen Thema unserer Parsifal-Gralsgeschichte angekommen sind, nämlich der Polarität und der Überwindung derselben.